Prenzlauer, Ecke Fröbelstrasse

Veranstalter
Museumsverbund Pankow; Berlin-Brandenburgische Geschichtswerkstatt (16491;16492)
rda_hostInstitution_reex
16491;16492
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.11.2006 - 30.03.2007

Publikation(en)

Berlin-Brandenburgische Geschichtswerkstatt (Hrsg.): Prenzlauer, Ecke Fröbelstrasse. Hospital der Reichshauptstadt, Haftort der Geheimdienste, Bezirksamt Prenzlauer Berg 1889-1989. Berlin 2006 : Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte, ISBN 3-936872-98-8 247 S.
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Judt, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Wenige Tage vor ihrer Berufung zur Staatssekretärin in der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft hielt die PDS-Politikerin Almuth Nehring-Venus eine Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Prenzlauer/Fröbelstraße“, die sich mit der Geschichte des dort gelegenen Amtsgebäudes des ehemaligen Bezirks Prenzlauer Berg von Berlin beschäftigt. Diese Rede machte Furore1, beklagte Nehring-Venus doch die ihrer Ansicht nach einseitige Darstellung des Vereinigungsprozesses von KPD und SPD in der genannten Ausstellung. Deren Macher gäben vor, SPD-Mitglieder „seien allein unter dem Druck ihrer Führung und unter dem Zwang und der Repression, die die sowjetische Kommandantur ausgelöst hatte, in die SED eingetreten.“ Doch, so die Politikerin: „Es war anders.“2

War es anders? Der Beantwortung dieser Frage widmet sich der wohl instruktivste Beitrag des die Ausstellung begleitenden Bandes „Prenzlauer, Ecke Fröbelstraße. Hospital der Reichshauptstadt. Haftort der Geheimdienste. Bezirksamt Prenzlauer Berg 1889-1989“. Kay Kufeke beschreibt in „Kalter Krieg im Prenzlauer Berg“ die Durchsetzung der SED-Herrschaft in diesem ursprünglich von den Sozialdemokraten dominierten Bezirk. Auf der Grundlage ausgedehnter Archivstudien beschreibt er eindrücklich und fundiert, wie die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien KPD und SPD vor Ort erzwungen wurde: Massive Versuche der Vereinigungsaktivisten der KPD, mittels Informanten in der SPD, den Entscheidungsprozess dort zu beeinflussen, wurden begleitet von der intensiven Betreuung von Einheitsbefürwortern bei den Sozialdemokraten und der öffentlichen und nichtöffentlichen Denunziation von wichtigen Mitgliedern des SPD-Kreisvorstandes, die gegen die Parteienfusion auftraten. Allerdings blieb die SPD Prenzlauer Berg selbst bei Anwesenheit von sowjetischen Offizieren bei ihrem Entschluss, an der in Berlin anberaumten Urabstimmung über die Vereinigung teilzunehmen. Auf das Verbot der Durchführung im Ostsektor (wobei sich die Besatzungsmacht auch auf die Urabstimmung ablehnende Beschlüsse einiger Stadtteilgliederungen der SPD im Bezirk Prenzlauer Berg berief) reagierte der SPD-Kreisvorstand mit der Einrichtung eines Wahllokals im französischen Sektor, wo dann 80 Prozent der teilnehmenden Parteimitglieder gegen die Fusion der beiden Parteien stimmten. Freilich hatten nur noch weniger als zehn Prozent der SPD-Mitglieder aus Prenzlauer Berg daran teilnehmen können, gleichwohl bestätigte das Ergebnis der wenige Monate später durchgeführten Kommunalwahlen vom 20. Oktober 1946, dass die Sympathien der Bevölkerung bei den Sozialdemokraten geblieben waren: Die SPD stellte mit 21 von 45 Mitgliedern in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) die stärkste Fraktion (zum Vergleich: SED 14 Mandatsträger, CDU und LDP 7 bzw. 3) und konnte damit anfänglich sowohl die Bürgermeisterin (Ella Kay) und den Vorsitzenden der BVV (Rudolf Quade) durchsetzen. Was folgte, war die schrittweise Demontage dieser SPD-Dominanz durch die SED und die sowjetische Besatzungsmacht. Nach öffentlichen Kampagnen gegen die Bürgermeisterin und ihre Entlassung durch die Sowjets, einer SED-Mitglieder begünstigenden Personalpolitik bei Einstellungen im Bezirksamt und schließlich der Spaltung der Gesamt-Berliner Verwaltung wurde am 21. Dezember 1948 auch in Prenzlauer Berg von den Parteien des „Demokratischen Blocks“ und „Delegierten aus Betrieben des Bezirkes“ ein neues Bezirksamt gewählt, in dem SED, CDU, LDP sowie eine von der SED ins Leben gerufene Gruppe „’oppositioneller Sozialdemokraten in der Bezirksverwaltung’“ je zwei, FDGB, Frauenbund und Kulturbund je ein Mitglied stellten.3

Kufeke unterschlägt mit seiner Darstellung keineswegs, dass es nicht wenige Befürworter einer Einheit der Arbeiterparteien gegeben hatte, aber die von ihm präsentieren Fakten verdeutlichen am Beispiel der Vorgänge in einem Ost-Berliner Bezirk, wie der Kalte Krieg in der geteilten Stadt seine Spuren hinterließ. Für die Erforschung desselben ist sein Aufsatz ein Gewinn. Doch eigentlich will der besprochene Begleitband der Ausstellung einen Beitrag zur Stadtgeschichte liefern, ordnen seine Herausgeber ihn doch schon in ihrem Vorwort anderen literarischen und wissenschaftlichen Untersuchungen zur Geschichte des Bezirks zu.4 Diesem Anspruch werden die insgesamt elf Beiträge jedoch nur zum Teil gerecht. Meist wird in den Aufsätzen der direkte Bezug zum in der Ausstellung vorgestellten Gebäudekomplex hergestellt. Barbara Jacoby beleuchtet seine Frühgeschichte als Hospital und Siechenheim. Sie und Kay Kufeke analysieren sodann die Tätigkeit des Bezirksamtes während des Nationalsozialismus, das erst unter der Naziherrschaft in den Gebäudekomplex an der Fröbelstraße zog. Reinhard Fuhrmann geht auf seine Geschichte als Haftstätte des sowjetischen Geheimdienstes NKWD und des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit ein. Hans Michael Schulze untersucht die jahrzehntelange Nutzung eines Teils des Areals durch die „Verwaltung Groß-Berlin“ des MfS. Rainer Potratz schließlich stellt beispielhaft die Tätigkeit des Wohnungsamtes dar. Diese, sehr stark an der Geschichte des Gebäudes gebundenen Darstellungen werden ergänzt durch solche, die seine Wahrnehmung als NKWD-Haftstätte und als MfS-Bezirksverwaltung durch die Bevölkerung (verfasst von Ulrike Gentz) und die Gewerbeentwicklung im Umfeld (verfasst von Andreas Matschenz) zum Thema haben. Insoweit erfüllt das Buch auch den eben genannten Anspruch: Die Geschichte eines Ortes, namentlich eines Gebäudes, kann sehr spannend sein und so auch beschrieben werden. Der Gebäudekomplex Prenzlauer Allee, Ecke Fröbelstraße weist eine facettenreiche Entwicklung auf, die die verschiedenen Brüche in der deutschen Geschichte widerspiegelt.

Demgegenüber ist jedoch das Einbeziehen eines Aufsatzes von Stephan Wolf zum „Kampf des MfS gegen Kirche und Bürgerbewegungen in den 1980er Jahren“, der im wesentlichen auf Beispiele in den Nachbarbezirken Friedrichshain und Pankow eingeht und darüber hinaus die generelle Konfliktsituation zwischen MfS und Kirchen bzw. Bürgerrechtlern thematisiert, sowie eines weiteren Artikels von Ulrike Gentz zu Eingaben der Bevölkerung „als strategisches Mittel zur Lösung des Wohnungsproblems“ fehl am Platze, auch wenn Gentz vor allem mit Briefen aus dem Prenzlauer Berg arbeitet. Der Bezug zu dem in der Ausstellung und dem Begleitband sonst thematisierten Gebäudekomplex erschließt sich hier nicht oder nur schlecht. Das ist dann aber wieder eine vertane Chance, denn beide Aufsätze beleuchten wichtige Teile des Alltags in der DDR: die Überwachung nichtkonformen, oppositionellen oder gar widerständigen Verhaltens auf der einen Seite und das Nutzen einer der wenigen Möglichkeiten für die DDR-Bürger, ihre individuellen Interessen mit dem im Westen weithin unbekannten Instrument der „Eingabe“ durchzusetzen.

Nichtsdestotrotz kann der Rezensent den Besuch der von der eingangs erwähnten Politikerin so heftig kritisierten Ausstellung nur empfehlen. Sie läuft noch bis zum Frühjahr 2007. Der hier besprochene Band kann dabei weiterführende Begleitung sein.

Anmerkungen:
1 Siehe unter anderem: „Streit um SED bringt Koalition in die Krise“, in: Berliner Zeitung, vom 2. Dezember 2006; „Senat: Elf Tage im Amt und schon in der Krise“, in: Die Welt, vom 4. Dezember 2006
2 Vgl. Test der Rede in: http://www.linkspartei-pankow.de/linksfraktion/mitglieder/bezirksamtsmitglieder/almuth_nehring_venus/dokumente/prenzlauerecke_froebelstrasse/
3 Vgl. das hier rezensierte Buch, S. 90
4 Sie nennen u.a. Daniala Dahns „Prenzlauer Berg Tour“ und den Band „Prenzlauer Berg“ von Petra Grubitzsch in der Reihe „Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke“.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) Ausstellung
Deutsch
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension